Der Kunstweg »parallele landschaft« im Pfrunger Ried bei Ravensburg durchzieht eine
renaturierte, bei Spaziergängern beliebte Landschaft. In diesem idyllischen Umfeld setzt,
eingeweiht im Herbst 2016, »Landnahme« ein weithin sichtbares Zeichen – prägnant im
Ausdruck, verstörend in der Aussage.
Hoch aufragend mutet die Installation aus der Ferne wie ein Kontroll- oder Wachturm an.
Aus der Nähe betrachtet kommen Assoziationen mit Discountern auf. Auf Industrieregalen
lagern Torfsoden wie Billigware in einem Supermarkt. Darüber läuft, betrieben von einer
kleinen Photovoltaikanlage auf dem Dach, ein leuchtendes Schriftband. Ein Firmenlogo? Ein
Werbeslogan?
Nein. Der Schriftzug »www.landmatrix.org« verweist auf eine Internet-Plattform, die
weltweit das »Landgrabbing«, den in großem Stil betriebenen Verkauf landwirtschaftlich
nutzbarer Böden an private Investoren dokumentiert. Ist doch seit der Finanzkrise 2008
Boden zu einem der beliebtesten Anlage- und Spekulationsgüter geworden. Besonders in
Ländern ohne funktionierenden Rechtsstaat, wie vielerorts in Afrika der Fall, grassiert diese
neue Spielart des Kapitalismus. Aber auch hierzulande gibt es kaum noch bezahlbare Flächen
für bäuerliche Landwirtschaft.
»Landnahme« macht die elementare Kraft von Erde im Spannungsfeld des kapitalistischen
Umgangs mit ihr erlebbar. Wie Brotlaibe liegen die Torfsoden auf den Zinkregalen: Wärme
ausstrahlend. Verletzbar. Ungeschützt. Prekär. Eine Jahrmillionen alte Substanz, zusammen
mit Wasser und Luft die Grundlage allen Lebens auf der Erde, wird hier als Billigware
feilgeboten. Jeder Torfsoden trägt, an Preisschilder erinnernd, ein rotes Etikett mit der
Aufschrift: »Kaufen Sie Land, es wird keins mehr gemacht«. Mit diesem zynischen Aufruf
klagte einst Mark Twain den Ausverkauf von Land in den amerikanischen Südstaaten an.
Die Dauer des Werkes beträgt circa fünf Jahre. Dann werden die Torfsoden sich aufgelöst
haben. So lange wird »Landnahme« mit der Gültigkeit, der Kraft künstlerischen Ausdrucks
gegen eine empörende Realität Stellung beziehen.
Rede zur Eröffnung der Installation Landnahme von Christiane Lehmann. Gehalten von Dr. Hildegard Kurt, Kulturwissenschaftlerin und Autorin, Mitbegründerin des »und.Institut für Kunst, Kultur und Zukunftsfähigkeit« in Berlin.
LANDNAHME