Betrachtungen zu einer landschaftsbezogenen Installation von Christiane
Lehmann
In gewisser Weise knüpft die Arbeit 'Transformation’
an der am weitesten in die Kulturgeschichte zurück reichenden
Linie künstlerischen Schaffens an: Sie ist ebenso eine geometrische
Setzung in die Landschaft wie es die Steinsetzungen der Megalithkultur
waren. Wenn auch der jeweilige Bewusstseinshintergrund dieses
archaischen Vorganges in beiden Fällen wohl kaum zu vergleichen
ist, bleibt etwas Vergleichbares in der sinnlichen Wirkung: Landschaft
wird zentriert und geordnet, das wahrnehmende Auge bekommt einen
Halt dadurch, dass dem vitalen Chaos der Natur ein geometrisches
Widerlager gegenüber gestellt wird, durch welches es erst
als eigentliche Qualität im künstlerischen Sinne erfahrbar
wird und genossen werden kann. Entscheidend für die durch
eine solche Intervention in Gang kommende Transformation der Wahrnehmung
ist das konkrete ‚Wie’ der Setzung.
Die acht Quader aus Altpapier, von Christiane Lehmann in serieller
Folge zwischen einem Waldsaum und dem Kemnader See, parallel zu
diesem und den am Ufer entlang führenden Wegen gesetzt, strahlen
in ihrer elementaren Geometrie Ruhe und Kraft aus. Den an diesem
Ort spezifischen Konditionen der Wahrnehmung trägt die scheinbar
in sich ruhende Gruppe auf frappierend einfache Art Rechnung:
Mit jedem
Schritt des betrachtend Vorbeigehenden verändert sich der
Blick auf das Werk, es ereignet sich ein steter Wechsel zwischen
dem Eindruck von kraftvoll-haptischer Präsenz der geballten
Körper und der von ihnen umfassten Zwischenräume. Dabei
wird die feiste Rohheit der gepressten Papierflächen begleitet
von einer feinen Fläche, eigentlich von einer Linie, die
als oberer Abschluss aus Zement die Körper wie
durch einen in das Werk hineinprojizierten Horizont zusammenschließt,
sie stimmt auf einen Klang der mit Ferne, Weite zu tun hat. Dieser
musikalischen Feinheit des Werkes steht der „grobe Griff“
zu einem „gemeinen Material“ gegenüber. Dadurch
steht die Arbeit im besten Sinne in der Tradition der Minimal
Art, deren Vater auf musikalischer Seite John Cage war: Ihm lag
es daran, das Hören für alltägliche
Klänge zu entgrenzen. Das von Christiane Lehmann verwendete
profane Rohmaterial weckt alle möglichen Assoziationen: Abfallprodukt,
gebündelte Energie, ungern gesehene Kehrseite einer Kultur,
die in immer monströserem Maße ihre Illusionen zu Papier
bringt. An einem Ort, der die Wiege der Industrialisierung in
Deutschland gewesen ist, an dem Unmengen von gepresster Energie
als Kohle aus der Erde
gebrochen wurden, der aber längst eingestimmt ist auf das
digitale Zeitalter, spricht dieses Material in der vorliegenden
Form vieles aus – und weckt mitunter Ablehnung und Aggression.
Indem dieses Abfallprodukt allerdings zum Rohmaterial der oben
beschriebenen Wahrnehmungsprozesse wird, kann eine Umwertung,
ein „Recycling“, eine Transformation stattfinden.
Die Materialverwandlung des Wohlstandsmülls wird allerdings
nicht von der Künstlerin vollzogen; sie stellt mit ihrer
Setzung lediglich Bedingungen her – dies allerdings in sehr
sensibler Weise – unter denen sich jeder Betrachter selbst
zur Ebene des Motivs durch die Wahrnehmung hinarbeiten kann: Für
manchen klingen Bilder von fahrenden Loren an, für andere
ist die Arbeit tingiert von sakralen Motiven, wie Opfertische,
Altäre in der Landschaft.
Bezeichnend ist, dass solche Bilder im Wechsel von Fern- und Nahsicht
ineinander übergehen, entstehen und sich wieder auflösen:
' Transformation’.
1.11.2005 Jochen Breme
Transformation der Wahrnehmung