Betrachtungen zur Meisterschülerausstellung von Christiane Lehmann
Wenn ich meine Augen nicht bewusst auf etwas richte, sondern
mich auf einen Prozess einlasse, die Umgebung quasi in Unschärfe
wahrzunehmen, innere Bilder nicht abwehre – dann kann ich in
einen traumähnlichen Zustand geraten, in dem ich nichts bewerte,
allem Raum gebe, „unfocused“ auf die Welt und auf mich schaue.
Der Galerieraum, den Christiane Lehmann am 25. Februar 2011 in
Bonn öffentlich zugänglich macht, vermittelt etwas von dieser Ruhe
und Kraft, die die Dinge besitzen, bevor ich sie bewerte, einordne und
in eine dem allgemeinen Verstand nachvollziehbare Gedankenreihe
stelle.
Millimeterpapier mit symmetrisch aufgeklebten Reihen von durchsichtigen
Verstärkerringen – ein Beispiel: auch bei großer Sorgfalt
werden diese Reihen nicht maschinell aufgeklebt erscheinen, sondern
leicht voneinander abweichen. Der Mensch kann nicht in maschineller
Perfektion arbeiten. Eine zarte, meditative Anordnung mit verschwommenen
Portraits, die ein Nebel zu umgeben scheint. Neben
zarten Arbeiten auch große Installationsobjekte: wie der nahezu
durchsichtige runde Raum aus Wellplastik, auf Rollen – in der Größe
einer Duschkabine. Schläuche docken an dieses zylindrische Objekt
an, führen durch den Raum und enden an der Wand und am Boden,
unter einem Digitalprint mit einem Wassermotiv, auf dem eine Öllache
im Laufe der Ausstellung diffundiert. Dieses Print hängt auch
unzerschnitten von der Decke.
Rätselhaft – mag es auf das dem Erdboden entstammende Öl als
Grundlage aller Kunststoffe verweisen? Das würde auch auf die an
der Wand hängenden und stehenden Latexobjekte zutreffen, die,
tiefschwarz, noch Zeugnis geben von der mit den Händen geformten
plastischen Vorlage. Urtümliche Wesen, wie aus glänzend schwarzer
mooriger Tonerde bereitet. Große blasenartige Aufstülpungen
besitzen eine dynamische Qualität – sie erinnern mich an mooriges
Erdreich, das von Gas aus dem Erdinnern aufgeworfen wird, wie man
es in Island erleben kann. Terrakottaobjekte am Boden, röhrenartig,
überwiegend glänzend schwarz, am oberen Ende weiß abgesetzt.
Eines besitzt als untere Partie eine machtvolle schwarze Kugel,
darüber Wulste, eine Art Schaft. Schwer und mächtig erscheinen
diese Objekte, auch zart und verspielt zwei kleinere, aus denen
jeweils ein Blütenstil zu wachsen scheint. In ihrer leicht schrägen
Haltung, dem vornehm-dunklen Ernst, empfinde ich sie auch humorvoll
– ich möchte sie ineinander stecken, Verbindungen herstellen.
Es gibt auch noch zwei kleine projiziertes Videos, ein sorgfältig
geformtes Objekt – einem Boot von außen nicht unähnlich, ein langovaler
ausgehöhlter Raum aus ungebrannter Tonerde getrennt durch
einen Kunststoffraum mit parallel eingelassenen Metallstäben.
Ich verliere immer deutlicher das Bedürfnis, die Objekte „verstehen“
zu wollen. Der Raum wirkt auch nach langem Besuch wohltuend,
starke Kräfte gehen von den Arbeiten aus. Ihre Rätselhaftigkeit, ihr
Geheimnis behalten sie – was die Neugier nicht abflauen lässt.
Prof. Gabriele Oberreuter
Ihr Geheimnis behalten sie